ERFAHRUNGSVERANKERTE REZEPTION – VINCENT VAN GOGH; WEIßE HÜTTEN BEI SAINTES-MARIES

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[Oliver M. Reuter]

Vincent van Gogh malt 1888 sein Werk >Weiße Hütten bei Saintes-Maries<. Es zeigt drei kleine Gebäude, die in Teilen angeschnitten sind, vor blauem Himmel.

Van Gogh wird 1853 geboren und lebt bis 1890. Wichtige Stationen in seinem Leben sind neben Antwerpen und Paris auch Arles und Saint-Rémy. Landschaftsdarstellungen gehören ebenso wie Stillleben, Porträts und Selbstporträts zu seinem Oeuvre. Oft verwendet van Gogh Ölfarbe derart, dass sie reliefartig auf der Leinwand auftrocknet. Sein Malstil, der selten Korrekturen sucht, erlaubt ihm den pastosen Farbauftrag.

1886 lebt van Gogh in Paris, wo er mit den Ideen des Impressionismus bekannt wird. In der Folge malt er mit helleren Farben. Die Motivpalette verschiebt sich durch das städtische Milieu. Erst nach einem Umzug 1888 in den Süden Frankreichs greift er Motive der Landschaft wieder auf. Nach einer Station in Saintes-Maries-de-la-Mer malt er das Bild >Weiße Hütten bei Saintes-Maries<.

Das Bild ist mit Ölfarben auf Leinwand gemalt, es hängt im Kunsthaus Zürich in Nachbarschaft zu Arbeiten von Monet wie die >Steilküste bei Dieppe< [1882].

Referenzpunkt Motiv: Gebäude
Für die Vermittlung des Werkes mit der Methode der erfahrungsverankerten Rezeption bietet sich die Schnittstelle des Motivs „Gebäude“ an. Über die eigene bildnerische Produktion, bei der die Schülerinnen und Schüler Bauten aus ihrer Umgebung bildnerisch umsetzen, nähern sie sich dem Motiv der anschließenden Rezeption an. Anschließend besprechen sie das Werk von van Gogh. Eine abschließende Präsentation fasst Ergebnisse der beiden vorangegangenen Phasen zusammen.

Sequenzablauf

  1. Bildnerische Produktion zur Darstellung von Gebäuden
    a) Auswahl von Gebäuden/ einem Gebäude in der Nähe der Schule
    b) Zusammentragen von Informationen zum Bau
    c) Zeichnen des Gebäudes
    d) Überführung der Zeichnungen in eine gewählte ästhetische Praxis
    e) Besprechung der eigenen Arbeiten

     

  2. Rezeption van Goghs Werk >Weiße Hütten bei Saintes-Maries< [1888]
    a) Erste Äußerungen/ Bezugnahme zu den eigenen Arbeiten
    b) Beschreibung des Bildes/ Fokussierung auf bildnerische Mittel
    c) Informationen zu van Gogh, zeitliche Einordnung
    d) Interpretative Ansätze
    e) Vertiefung über weitere Werke von van Gogh/ Gebäudedarstellungen

     

  3. Präsentation


Bildnerische Produktion zum Motiv >Gebäude<
Ziel der bildnerischen Produktion ist es, dass die Schülerinnen und Schüler sich für ein Gebäude in räumlicher Umgebung der Schule entscheiden, das sie bildnerisch darstellen wollen. Immer sollte bei den didaktischen Entscheidungen eine Rolle spielen, an welchen Stellen den Kindern/ Jugendlichen Chancen eingeräumt werden, selbständig Entscheidungen zu treffen und sich möglichst eigenständig bildnerisch auseinanderzusetzen und zu artikulieren.

Was man braucht

  • Skizzenhefte/ Papier, Bleistifte/ Stifte
  • Materialien zur bildnerischen Umsetzung nach Wahl (z.B. Dispersionsfarben, Wasserfarben, Buntstifte…)
  • Für den Einschub zur Fluchtpunktkonstruktion: Lineal
  • Bildmaterial zu >Weiße Hütten bei Saintes-Maries<, zu van Gogh, zu weiteren Arbeiten von van Gogh (z.B. Vincent van Gogh: >Blühender Aprikosenbaum< [1888]
  • Informationen zu van Gogh, ggf. aufbereitet/ zusammengestellt in Info-Kartons
  • Ausstellungsequipment entsprechend der ästhetischen Praxis


Ziele

  • Bildnerische Erarbeitung und Umsetzung des Motivs >Gebäude<
  • Kennenlernen und Anwenden der Fluchtpunktperspektive
  • Vincent van Gogh als Vorläufer der Moderne kennenlernen
  • Erarbeitung eines begründeten interpretativen Ansatzes eines Gemäldes
  • Kooperatives Erarbeiten einer Präsentation der Inhalte von Produktion und Rezeption


Vorgehensweise Produktion

Als erster Impuls kann ein Gespräch dienen, welche Gebäude in der Nähe der Schule typisch für das Stadtgebiet sind. Welche Häuser vermitteln eine bestimmte Atmosphäre, die sich auf das Viertel übertragen lässt? Welche Bauten ragen positiv oder negativ heraus?

Gemeinsam werden die Gebäude auf einer Karte eingezeichnet. In einer kleinen Erkundungstour werden sie aufgesucht und vor Ort gemeinsam erörtert. Gibt es nähere Informationen zum Gebäude? Wer wohnt im Gebäude? Welche Funktion hat das Haus? Gibt es bauliche Besonderheiten? Welche Farben dominieren? Wie gliedert es sich in die Umgebung ein oder hebt es sich eher ab? Derartige Fragen werden in der Gruppe besprochen, ggf. können schon erste Skizzen oder Farbproben gemacht werden.

Der nächste Schritt richtet sich in erster Linie nach der Jahrgangsstufe. Bei jüngeren Schülerinnen und Schülern einigen sich die Kinder auf ein Gebäude, das sie alle im Bild wiedergeben. Jugendliche können sich für unterschiedliche Gebäude entscheiden und sich im räumlichen Umfeld der Schule eigenständig bewegen. Ihre Aufgabe besteht darin, mit einer ihnen bekannten und für die Umsetzung geeigneten Technik den von ihnen ausgewählten Bau darzustellen. Als Vorarbeit bietet es sich zumindest in der Sekundarstufe an, den Schülerinnen und Schülern eine einfache Konstruktion über zwei Fluchtpunkte beizubringen. Dieses Verfahren ist rasch unterrichtet, zumal es eine Reihe guter Tutorials gibt, die die häusliche Wiederholung und Sicherung unterstützen können.

Die Idee der erfahrungsverankerten Rezeption verfolgt das Ziel, den Schülerinnen und Schülern eine größt mögliche Eigenständigkeit in der ästhetischen Praxis zu bieten. Dazu gehört, die Auswahl der Technik nach Möglichkeit den Kindern/ Jugendlichen zu überlassen. Diese orientieren sich an ihnen bekannten Darstellungsformen und gleichen die Optionen auf die neue Aufgabenstellung ab. Eine derartige Vorgehensweise mag in der Organisation anfangs etwas aufwändiger sein, wenn alle Schülerinnen und Schüler erst einmal ihre Technik finden müssen und ihre Ausstattung organisieren sollen. Belohnt wird der Mehraufwand mit einer hohen Individualität von Darstellungen sowie einer Förderung der bildnerischen Problemlösekompetenzen der Schülerinnen und Schüler. Ein Mitspracherecht bei der Technik und beim Motiv motiviert Kinder und Jugendliche gleichermaßen.

Die Schülerinnen und Schüler zeichnen mit verschiedenen Bleistiften und Buntstiften oder malen mit unterschiedlichen Farben das von ihnen ausgesuchte Bauwerk, entweder im Klassenverband vor einem Bau oder verteilt in Schulnähe. In der Schule wird ein Rahmen geboten, die Vorarbeiten oder die Zwischenstände gemeinsam zu besprechen. Auch besteht die Option, lediglich die Vorarbeiten auszulagern und die Realisierung der Arbeiten in der Schule vorzusehen. Auf diese Weise ist die Organisation und die Durchführung einer kontinuierlichen Begleitung des Bildwerdeprozesses stark vereinfacht. Auch die kleinschrittige Besprechung der Fortschritte im Plenum kann leicht durchgeführt werden, um so eine individuelle Hilfestellung für den Klassenverband fruchtbar zu machen.

Reflexion/ Besprechung
Abgeschlossen wird die Phase der bildnerischen Produktion mit einer Abschlussbesprechung, in der die getroffenen Entscheidungen über das Motiv, die Technik und die Umsetzung exemplarisch besprochen und nachvollzogen werden. Hier werden bei den Schülerinnen und Schüler in der Sec II auch die bildnerischen Entscheidungen zum Aufgreifen der Atmosphäre des Gebäudes hinterfragt, kompositorische Ideen erläutert und Entscheidungen zum Farbeinsatz besprochen.


Rezeption zu van Goghs >Weiße Hütten bei Saintes-Maries<
Nach der eigenen ästhetischen Praxis zeigt die Lehrkraft das Werk >Weiße Hütten bei Saintes-Maries< [1988]. Folgende Aspekte sollten in der Rezeption angesprochen werden:

  • Erste Eindrücke, Bezug zum eigenen Arbeiten
  • Bildbeschreibung
  • Hintergründe zum Werk und zu van Gogh
  • Komposition
  • Farbeinsatz
  • Zusammenschau der Komponenten

Die Kinder/ Jugendlichen formulieren ihre ersten Eindrücke und Empfindungen zum Bild und beschreiben es. Meist wird rasch Bezug genommen zu den eigenen Arbeiten. Nach Informationen durch die Lehrkraft wird das Werk zeitlich und stilistisch eingeordnet. Alternativ können die Schülerinnen und Schüler über Lesetexte oder Infoboxen mit Text und Bildmaterial Auskunft zum Künstler, zu den zeitlichen Umständen wie zum Werk erhalten oder selbst online recherchieren. Die wichtigen Daten werden auf Plakaten zusammengestellt und im Plenum vorgestellt.

Zur Klärung der Komposition zeichnen die Schülerinnen und Schüler auf Ausdrucken des Werkes in Grauwerten die zentralen Objekte mit den notwendigen Linien ein und besprechen zunächst die horizontale mittige Teilung des Bildes sowie die dynamische Wirkung, die aus der Wegführung und der leicht diagonal verlaufenden Linie der Dachgiebel resultiert. Ebenfalls auf diesen Ausdruck skizzieren sie die wesentlichen Farbflächen. Mittels der Skizzen werden die bildprägenden Kontraste verdeutlicht: der Komplementärkontrast zwischen den orangen Wegflächen und den grünen Gräsern, der Hell-Dunkel-Kontrast zwischen dem mittleren Haus und dem Blau des Himmels etc. Aus der Linienführung und der farblichen Gestaltung lässt sich die Wirkung des Bildes begründen. Es ist wichtig, diese Wirkung nicht lediglich vom individuellen Eindruck bestimmen zu lassen, sondern aktiv die bildnerischen Entscheidungen des Künstlers/ der Künstlerin mit einzubeziehen. Dieser Anteil der Bildschaffenden an der Bildwirkung wird in der Zusammenschau der einzelnen erarbeiteten Komponenten deutlich und um den individuellen Zugang ergänzt.

Zur Vertiefung der Rezeption kann ein weiteres Werk von Vincent van Gogh mit einer Darstellung eines ähnlichen Motivs (z.B. Vincent van Gogh: >Blühender Aprikosenbaum< [1888]) herangezogen werden oder können Werke anderer Künstlerinnen und Künstler arbeitsteilig besprochen werden z.B.: Claude Monet: >Die Steilküste bei Dieppe< [1882]; Claude Monet: >Strohhaus in der Normandie< [1885].

In Gruppen besprechen die Schülerinnen und Schüler eine der Arbeiten und stellen ihre Erarbeitung (erster Eindruck, Künstler/in, Hintergründe, Komposition, Farbgebung, Interpretation) im Plenum vor.

Präsentation
Die Arbeiten der Schülerinnen und Schüler werden ausgestellt. Entsprechend der Möglichkeiten der Schule rahmen die Kinder/ Jugendlichen gemeinsam ihre Bilder und stellen sie zu einer Ausstellung zusammen. Beschriftungen mit Bildtitel und Nennung des Urhebers/der Urheberin professionalisieren die Präsentation. Eine Ergänzung mit Informationen zu van Gogh und seinen Werken mit Gebäuden als Motiv schließt den Bogen und fasst die bildnerische Produktion und die Rezeption zusammen. Ggf. sind bei der Besprechung von Leben und Werk van Goghs bereits Plakate oder Leporellos entstanden. Diese können dann Bestandteil der Ausstellung werden.