Videografische Dokumente

Oliver M. Reuter

Einleitendes

Filmische Aufzeichnungen werden schon seit längerem in der Bildungsforschung als Datenmaterial verwendet. In der medienpädagogischen Forschung wird die Wirkung von Fernsehsendungen und Filmen untersucht. Um Vermittlungsmethoden zu evaluieren oder die Folgen von Lehrerverhalten zu untersuchen, zeichnen Erziehungswissenschaftler schon seit langem Unterricht auf. In der gesamten qualitativ empirischen Forschung sind die Videoaufzeichnungen kaum mehr wegzudenken. Begrifflich kann man Video und Film differenzieren.

Vor allem mit den Produktionen von Laien ist der Begriff des Videos konnotiert, während professionelle Produktionen dem Film zugeschrieben werden. (Vgl. Schwinger 1993, 159) Vor allen Dingen auf Grund der einfachen Verfügbarkeit sowie Bedienung von digitalen Schnittprogrammen verschwimmt die Grenze zwischen den beiden Be- reichen zunehmend.

In der Hauptsache wird für die filmischen Aufzeichnungen als Datenmaterial innerhalb empirischer Forschung der Begriff der Videografie verwendet. Damit werden allerdings sehr unterschiedliche Arten von Daten bezeichnet:

  • Filme von Laien, Handyclips oder Videos, die auf Internetplattformen geladen wer- den,
  • Aufzeichnungen als Instrument der teilnehmenden Beobachtung,
  • systematische Beobachtungen mit der Kamera sowie
  • filmisch aufgezeichnete Interviews.

Sie haben gemeinsam, dass beobachtbare Vorgänge sowie Geräusche, Töne und verbale Artikulationen gleichzeitig aufgenommen werden. Derartiges Datenmaterial bedarf spezifischer Wege der Erhebung, der Transkription sowie der Auswertung.

Dokumente

Bei Filmen von Laien in Form von Hochzeitsfilmen, Handyclips oder Videos, die man auf Internetplattformen finden kann, handelt es sich um videografische Dokumente. Nachfolgend wird der Fokus zunächst auf Dokumente als Datenmaterial gelegt und anschließend werden Spezifika videografischer Dokumente erläutert.

Dokumente haben in der kunstpädagogischen empirischen Forschung eine lange Tradition. Vor allen Dingen in der Kinderzeichnungsforschung kommt den Dokumenten in Form von Zeichnungen eine immense Bedeutung zu. (Vgl. Peez 2010) So können die Zeichnungen und Malereien von Kindern und Jugendlichen Material empirischer Forschung darstellen. Kinderzeichnungsforschung im weiter gefassten Sinn umfasst neben der Erforschung des genannten Materials die Untersuchung sämtlicher Artikulationen ästhetischen Verhaltens. Somit ist die Bandbreite dessen, was als Dokument gilt, sehr breit. Jedes Ergebnis ästhetischer Praxis von Kindern und Jugendlichen kann ebenso zum Dokument und somit zu Datenmaterial empirischer Forschung werden wie Tagebücher, Briefe, Urkunden u. Ä. Im Grunde kann alles zum Dokument werden, was Einzelne einer Untersuchungsgruppe erstellen, sowie Objekte, die Rückschlüsse auf Handlungsweisen, Motivationen oder Ideen erlauben.

Dokumente, die als Datenmaterial in empirischen Studien herangezogen werden, können im konstruierten Setting angefertigt werden. Dies ist vor allen Dingen dann von besonderer Relevanz, wenn der Herstellungsprozess kontrolliert werden will oder die Produktion der Dokumente in den Analyseprozess einfließen soll. Eine Kontrolle der Dokumentkonstruktion ist sinnvoll, wenn externe Einflussfaktoren in der konkreten Situation ausgeschlossen werden sollen. Derartige Faktoren können Beeinflussungen durch Lehrkräfte oder Eltern sein, der Gebrauch von Vorlagen für eine Zeichnung o. Ä. Es können Dokumente herangezogen werden, die außerhalb einer entworfenen Situation erstellt werden. Beispielsweise werden Hausaufgabenhefte von Schülerinnen und Schülern, die diese während ihres schulischen Alltags verschönern, zu Datenmaterial deklariert, um das Zeichnen und Collagieren Jugendlicher zu untersuchen. Auch Fotografien, die Kinder und Jugendliche in ihrem Alltag erstellen, werden zur Analyse herangezogen. Vor allen Dingen seit der Entwicklung auf dem Sektor der digitalen Medien werden videografische Dokumente zunehmend als Daten in empirischen Stu- dien verwendet.

Videografische Dokumente sind, betrachtet man die Forschungsgeschichte der Kunstpädagogik, ein noch junges Instrument. Über Filme und Clips, die von Kindern und Jugendlichen selbst produziert sind, kann Interessen nachgegangen werden, können bestimmende Themen aufgefunden werden und lassen sich medienspezifische Handlungsformen und Einstellungen rekonstruieren. Ebenso werden Aspekte eines sich wandelnden Wertekanons sichtbar sowie die Bedingungen des Aufwachsens und den daraus erwachsende Konsequenzen nachvollziehbar. (Vgl. Sander/Lange 2005, 116) Eine Analyse von Filmen, die die Teilnehmer einer Untersuchung selbst erstellt haben, muss mehr als die ausschließliche Untersuchung des Filmmaterials beinhalten. Der Film ist dann Bestandteil eines Kommunikationssystems, er hat also neben dem Autor auch einen Adressaten. Dieser mögliche Adressat beeinflusst bereits die Motivwahl, die Entscheidung für bestimmte filmischen Elemente etc. Der Film repräsentiert letztlich Ideen, Motive, Einstellungen oder Perspektiven auf die Realität der Produzenten.

(Vgl. Mikos 2005a, 459) Da auch die gestalterischen Elemente wie der Schnitt, die Farbwahl sowie die Einstellungen essentielle Komponente innerhalb dieses Kommunikationssystems sind, müssen sie auch als sinnkonstituierend begriffen werden.

Mit der Hinwendung zu selbst erstellten Videos geht auch in medienpädagogischen Ansätzen eine Erweiterung des Fokus einher. Wurde dieser lange dominant auf die Wirkungen von Medien und deren Konsum gelegt, werden inzwischen vermehrt die verschiedenen Ausprägungen der Mediennutzung in die Forschung mit einbezogen. (Vgl. Sander/Vollbrecht 1989, 161) Dies ist vor allen Dingen von Relevanz, strebt man die Entwicklung handlungsorientierter medienpädagogischer Konzepte an.

Sonderform: das Videotagebuch

Das Videotagebuch ist ein Instrument, das die Vorteile der Tagebuchforschung und des digital vorliegenden Datenmaterials vereint. Schon lange werden biografische Aufzeichnungen genutzt, um über die Einblicke in biografisch als relevant angesehene Vorgänge Wissen um Emotionen, Wertungen, Einschätzungen etc. zu gewinnen. Digitale Videotagebücher können in konstruierten Settings entstehen. Dann lassen sich Schwerpunkte durch die Untersuchungsleitung legen. Diese werden meist als eine Art Impuls im Vorfeld der Aufzeichnung gesetzt. Anschließend ist der Akteur relativ frei in seinen Erzählungen und Darstellungen. Dadurch reduzieren sich die Einflussmöglichkeiten durch Außenstehende und mögliche negativ konnotierte Manipulationen etwa wie bei Suggestivfragen in Interviews entfallen.

Von Jugendlichen selbst initiierte Videotagebücher findet man im Internet. Auf verschiedenen Plattformen lassen sich die Clips herunterladen, manche Blogs haben Videotagebücher integriert. Wer ein Tagebuch verfasst, notiert nicht nur die Geschehnisse über einen bestimmten Zeitraum. Vielmehr reflektiert er über das Schreiben diese Ereignisse. (Vgl. Haudeck 2001, 35)

In einem Videotagebuch lassen sich verbale Artikulationen festhalten, die Abläufe wiedergeben, aber auch Träume darstellen, Wünsche verbalisieren oder Befürchtungen äußern. Zudem können Objekte oder Bilder eingebracht werden. Je nach Forschungsfokus lassen auch die Körperhaltung, der Modus der Artikulation oder die Mimik Rückschlüsse zu.

Spezifika

Wie bei allen Instrumenten zum Datenumgang (Erhebung, Transkription, Auswertung, Präsentation) in der empirischen Forschung gilt es, die Vor- und Nachteile gegenseitig abzuwägen. Nachdem die Entwicklung digitaler Medien derart vorangeschritten ist, ist die Beschaffung des Equipments inzwischen problemlos. Auch existieren ausreichend

Programme, mit denen die gewonnenen Daten sortiert, gegebenenfalls geschnitten oder transkribiert werden können.

Wer Daten mit der Videokamera gewinnt, muss sich darüber im Klaren sein, dass hier trotz der Aufzeichnung von Audiodaten und visuellen Daten lediglich ein konstruierter Ausschnitt der Wirklichkeit festgehalten wird. Es handelt sich bei Weitem nicht um eine Darstellung der Realität. Mit der Komplexität der Wirklichkeit können die Daten nicht mithalten. Zudem wird in den meisten Settings lediglich ein Segment der Situation aufgenommen, nicht aufgezeichnete Konstellationen bleiben unbemerkt. Da bei der Videografie aufgezeichnet wird, was dereinst erlebbar war, ist sie mimetisch. (Vgl. Schnettler/ Knoblauch 2009, 276 f.)

Ein immer zu hinterfragender Aspekt ist die Manipulation der Datenerhebung durch Aufzeichnungsinstrumente oder beteiligte Personen. Eklatant fällt die Einflussnahme bei der teilnehmenden Beobachtung aus, wenn sich mindestens eine meist fremde Person im Feld zur Aufzeichnung befindet. Filmischen Eigenproduktionen können inner- halb eines empirischen Settings, in pädagogisch begleiteten Situationen oder aber frei und selbst initiiert erstellt werden. Innerhalb einer begleiteten Aufzeichnungssituation ist zu beachten, dass es immer zu Verzerrungen kommt, wenn der Proband sich an ein vermeintlich erwartetes Verhalten anpasst. Das Phänomen der sozialen Erwünschtheit ist bei anderen Instrumenten ausreichend beschrieben und muss bei der Datenerhebung sowie bei deren Auswertung berücksichtigt werden.

Bei selbst initiiert erstellten Filmen verändert sich die Richtung der sozialen Erwünschtheit. Hier ist es nicht mehr eine Lehrkraft oder ein Versuchsleiter ausschlag- gebend. Vielmehr spielt die Orientierung an den möglichen Adressaten des Clips wie Mitgliedern der Peer Group eine wichtige Rolle.

Sind die Daten aufgezeichnet, müssen sie im Grunde in eine Schriftform oder grafische Darstellung überführt werden. Bei der Komplexität der videografischen Daten bedeutet dies, sie sinnvoll auf ein zu transkribierendes Maß zu reduzieren. Dabei sollten keine Inhalte, die für die Auswertung relevant sein könnten, verloren gehen. Eine probate Vorgehensweise lässt sich hier nicht vorschlagen, da jedes Setting seiner individuellen Lösung bedarf. Orientierungspunkte sind der Untersuchungsfokus sowie die gewählte Methode zur Auswertung. Auch ist rechtzeitig zu entscheiden, welche Sequenzen für die Auswertung relevant sind, in welcher Tiefe sie dargestellt werden müssen sowie ob Teile der Analyse nicht am Material selbst erfolgen müssen.

Auf jeden Fall dient die Transkription durch den Forscher dazu, detailliert bekannt zu werden mit dem erhobenen Datenmaterial. Um den Leser einer Studie auch ein Stück weit mit dem Material vertraut zu machen und auch atmosphärische Elemente zu vermitteln, eignen sich Stills. Diese können einerseits als Einzelbilder zur Analyse herangezogen werden. Vor allen Dingen aber illustrieren Stills sowohl Abschnitte der Transkription und sind hier eine wertvolle Unterstützung, die Szenen nachvollziehen

zu können. Auch bei der Präsentation der Ergebnisse können Stills Sachverhalte veranschaulichen.

Studien

Eine zunehmende Anzahl von Studien nutzt bereits videografische Dokumente, einige werden hier kurz angeführt.

Die Pädagogin Renate Luca fokussiert die bestimmenden Themen von jungen Frauen. Dazu untersucht sie unter anderem Filme, die diese in einem pädagogischen Zusammenhang angefertigt haben. Den Entstehungskontext bezieht Luca schließlich auch im Rahmen ihrer Analyse mit ein. (Vgl. Luca 1998, 146 ff.) Die Autorin nutzt für ihre Untersuchung neben der videografischen Dokumente weitere Instrumente. Dazu gehören Interviews mit den Jugendlichen. Ein triangulativer Ansatz verspricht eine Verbreiterung der Untersuchungsaspekte. Zudem können Analyseergebnisse aus der Dokumentenanalyse bestätigt werden oder es ergeben sich Hinweise auf Divergenzen zwischen den Interpretationen.

In Lucas Studie werden auch die gewählten filmischen Mittel notiert und zu einer Interpretation ebenso herangezogen wie Interviews mit Experten. Die genannte Notiz der filmischen Mittel sowie die Aufzeichnung szenischer Folgen übernehmen hier die Aufgabe einer Transkription. Es wird allerdings deutlich, dass zur Auswertung nicht al- lein auf diese Form der Transkription zurückgegriffen wird. Vielmehr existiert bei der Autorin ein immanentes Wissen um die Filmerstellung und den Inhalt. Dieses fließt in der Auswertung mit ein. (Vgl. Reuter 2012, 43 f.)

Ebenfalls selbst produzierte Videos verwendet Margit Witzke (2004). Über die Interpretation eigener Produktionen Jugendlicher verspricht sie sich Einblicke in deren Kultur. Darüber hinaus sollen Aussagen über den Selbstausdruck Jugendlicher sowie identitätswirksame Parameter getroffen werden. Latenten Sinnstrukturen wird rational und emotional nachgegangen. (Witzke 2004, 135) Wie schon Renate Luca zieht auch Margit Witzke Experten hinzu. Sie verspricht sich dadurch, einerseits von ihrer Nähe vom Feld zu profitieren und andererseits aus der distanzierten Expertensicht Ein- sichten zu gewinnen. Als Transkription fungiert eine Inhaltsangabe unter Hinzunahme filmischer Komponenten sowie Stills. Letztere dienen eher der Illustration denn als Auswertungsbasis. Mit Hilfe eines Leitfadens werden die Daten differenziert nach den verschiedenen Aspekte, die es zu untersuchen gilt, ausgewertet.

Die Medienpädagogen Helga Theunert und Bernd Schorb nutzen von Jugendlichen selbst erstellte Clips, um Selbstbilder Fremdbildern gegenüberzustellen. Jugendlichen sind zudem medial orientierte Kommunikationsformen oft näher als traditionelle Ar- ten. Ein zentrales Argument für ihre Instrumentenwahl folgt der Logik, nach der eine mehrsinnlich wahrgenommene Welt auch mehrsinnlich wiedergegeben werden sollte.

(Vgl. Theunert/Schorb 1989, 286 f.) Innerhalb pädagogisch begleiteter Settings wer- den die Videoeigenproduktikonen erstellt. Dabei bewegen sich die Forschenden immer nahe den Jugendlichen und fertigen Protokolle zur Herstellung an. Diese werden in die Analyse der Videos einbezogen.

Die genannten Studien arbeiten mit videografischen Dokumenten. Dabei sucht je- der Autor eigene Wege zur Datenerhebung, zur Transkription sowie zur Analyse. Stets ist das Bemühen nachvollziehbar, die Instrumente am Forschungsfokus zu orientieren und die Spezifika der Daten zu berücksichtigen. Immer wieder wird immanentes Wissen, das über die Dokumente etwa im Zuge deren Erstellung gewonnen wurde, mit in die Auswertung eingebracht. Um die Objektivität der Studie dennoch zu gewährleisten, werden externe Experten zur Auswertung hinzugezogen.

Um das Problem der Komplexität filmisch vorliegender Rohdaten in den Griff zu bekommen, machen die Autoren transparent, dass in Teilen Wissen um das Datenmaterial eingebracht wird, das in der Form aus der Transkription nicht zu entnehmen ist. Auf diese Weise werden manche Ergebnisse nahe am Material gewonnen. Für den Leser bedeutet eine derartige Vorgehensweise, dass nicht jedes Teilergebnis nachvollzogen werden kann. Digitale Medien haben das Potential, hier auch bei der Bereitstellung des Datenmaterials sowie der Präsentation der Ergebnisse hilfreich eingesetzt zu werden. Indem die Möglichkeiten etwa über die Bereitstellung von Daten auf geschützten Forschungsplattformen genutzt werden, lassen sich auf diese Weise die Gütekriterien wie der Nachvollziehbarkeit erreichen.

In Zukunft wird sich die Methodendiskussion damit auseinandersetzen müssen, wie der Spagat zwischen der Anonymisierung der Daten und der Transparenz des Auswertungsprozesses gelingen kann.

Forschungschronologie

Eine mögliche Abfolge zur Verwendung videografischer Dokumente in empirischen Studien wird nachfolgend knapp dargestellt.

  • Aufmerksam werden auf ein eigenes Forschungsinteresse oder ein Forschungsdesiderat
  • Definition des Forschungszentrums oder -fokus
  • Theoretische Aspekte des Vorhabens beleuchten
  • Settingentwurf, Einholen von Genehmigungen zur Nutzung der Daten
  • Ermittlung von Teilnehmern/Probanden z. B. über eine Befragung
  • Datenerhebung über die Erstellung der videografischen Daten (z. B. innerhalb einer konstruierten Situation) oder über den Download bestehender Filme auf einen Computer (z. B. bei Clips auf einer Internetplattform)
  • Überspielen des filmisch vorliegenden Datenmaterials auf Rechner, Sicherung der Daten auf externe Datenträger
  • Transkription
  • Sequenzierung der einzelnen Filme nach Einstellungs- oder Handlungswechsel oder Transkription mit Hilfe eines entsprechenden Programms (z. B. Videograf) oder
  • Erstellung eines Filmprotokolls: Tabellarische Transkription unter Berücksichtigung des Zeitverlaufs, der Handlung, der Bearbeitung, der Einstellung und des Tons
  • Analyse am Filmmaterial anhand der sequenzierten Transkription oder des Filmprotokolls
  • Zusammenfassung und Synthese der Ergebnisse der analysierten Filme
  • Abgleich und/oder Ergänzung mit Ergebnissen bestehender Forschungsergebnisse und Einordnung der Ergebnisse in theoretischen Rahmen
  • Formulierung von (pädagogischen) Konsequenzen (Vgl. Reuter 2012, 47)

Zur Transkription: Gestalterische Merkmale videografischer Dokumente

Einstellungen (vgl. auch Kuchenbuch 1978, 45, mit geringfügigen Veränderungen)

  • Weit: Raumfassende Einstellung (Landschaften)
  • Totale: Im jeweiligen Handlungszusammenhang ist alles zu sehen
  • Halbtotale: Personen von Kopf bis Fuß
  • Amerikanisch: Person von Kopf bis Oberschenkel
  • Halbnah: Personen mit Kopf und Brust, Objekte erkennbar
  • Nah: Kopf einer Person mit etwas Brust, Objekte im Detail aber noch erkennbar
  • Close up: Kopf der Person, z.T. schon angeschnitten
  • Detail: Ausschnitt einer Person, eines Gegenstands technische Merkmale
  • Einstellungen
  • Schwenk
  • Schnitt
  • Übergänge
  • Schärfegrad
  • Zoom
  • Komposition
  • Standbilder
  • Intro
  • Texteinblendung

  • Abspann
    • spezifische Beleuchtung
    • visuelle Verfremdung/Effekte
    • Zeitlupe, Zeitraffer
    • Kameraposition
    • Musik
    • Geräusche
    • Rhythmus Darstellende Merkmale
    • körperhafte Relationen
    • Blickrichtungen
    • Gestik
    • Mimik
    • Artikulation
    • Raumbeziehungen
    • Handlungen (Vgl. Richard u. a. 2010, 44 f.; Reuter 2012, 142)

Ein konkretes Beispiel: Handyfilme als videografische Dokumente

Mit dem Aufkommen der Handys, die über eine Foto- und Filmfunktion verfügen, wurden in den öffentlichen Medien kritische Stimmen laut. Jugendliche würden diese Medien lediglich nutzen, um Gewalt in ihren verschiedenen Formen zu dokumentieren und zu verbreiten. Die kurzsichtige Perspektive auf die Mediennutzung durch Kinder und Jugendliche war Anlass für die Studie zu den »mobilen Bildern«. Diese untersuchte die Nutzung des Handys unter dem spezifischen Fokus auf die Verwendung der Foto- und Filmfunktion. (Vgl. Reuter 2009) Das Segment, in dem Handyfilme als videografische Dokumente verwendet wurden, wird nachfolgend skizziert.

Zunächst wurden 300 Jugendliche zwischen 12 und 18 Jahren zu ihrem allgemeinen Nutzungsverhalten befragt. Anhand der Fragebögen wurden Probanden ausgesucht, die einwilligten, sämtliche (!) Videos auf ihrem Handy zur Verfügung zu stellen. Dies gelingt nur, wenn ein Vertrauensverhältnis zwischen dem Versuchsleiter und den Jugendlichen existiert oder aufgebaut werden kann. Nachdem die Videos über entsprechende Schnittstellen auf die Laptops übertagen worden waren, wurden sie nach einer ersten Sichtung in die Bereiche »Download« und »selbst gedreht« unterteilt. Um die Filme klar zuordnen zu können, wurden Interviews geführt. Die Filme dienten dabei als Erzählimpuls und Rekonstruktionshilfe und sollten neben Erläuterungen zum Clip Motive, Einstellungen usw. hervorlocken (Film-elication).

Zur Überführung der Videodaten in die Schriftform wurden die Filme sequenziert und tabellarisch transkribiert. Auch wenn Handyclips affektiv erstellt werden und filmische Mittel dann überwiegend intuitiv eingesetzt sind, lassen sich gestaltende Vorgehensweisen (Schnitt, Schrift, Farbfilter, Musik usw.) und der Einsatz filmischer Mittel (Schwenk, Zoom, Einstellung usw.) feststellen. Zur raschen Information über den transkribierten Clip wurden jeweils der Name, das Geschlecht, der Filmtitel so- wie eine kurze Inhaltsangabe notiert. Anhand von Handlungseinheiten und Einstellungswechseln wurde jeder Clip sequenziert und die Dauer der einzelnen Sequenz verzeichnet.

Aufgrund der bereits beschriebenen Komplexität der Daten erfolgte die Auswertung nun am Datenmaterial selbst. Das Transkript dient hier als eine Art Leitfaden durch den Clip. Auf diese Weise kann sowohl dem reichhaltigen Datenmaterial Rechnung getragen werden als auch der Phasierung des Datenmaterials.

Die Auswertung der gewonnenen Daten brachte differenzierte Ergebnisse. Oft spielt die Peer Group eine entscheidende Rolle als Adressat und somit übernimmt der Um- gang mit den Clips sowohl bei der Produktion als auch bei der Präsentation eine soziale Funktion. Über die Thematisierung verschiedenster Inhalte, mit denen sich Jugendliche gerade in der Phase des Erwachsenwerdens auseinandersetzen sowie über die Möglichkeit des erprobenden Inszenierens verschiedener Selbstbilder werden Handyclips zu Instrumenten der Identitätskonstruktion. Nicht zuletzt wird deutlich, dass die einfache Verfügbarkeit der Filmfunktion zusammen mit der intuitiven Bedienung des Handys eine eigen initiierte ästhetische Praxis begünstigen. Immer wieder wer- den kurze Filme bewusst als Rohmaterial gedreht und anschließend bereits am Handy geschnitten, vertont und mit einem Vorspann sowie einem Abspann versehen. (Vgl. Reuter 2009, S57 ff.)

Literatur

Baacke, Dieter/Kübler, Hans-Dieter (Hg.): Qualitative Medienforschung. Tübingen 1989

Haudeck, Helga: Das Audio-Tagebuch als Erhebungsinstrument. In: Niesyto, Horst (Hg.): Selbstausdruck mit Medien. München 2001

Kirchner, Constanze/Kirschenmann, Johannes/Miller, Monika (Hg.): Kinderzeichnung und jugendkultureller Ausdruck. Forschungsstand – Forschungsperspektiven. München 2010

Kuchenbuch, Thomas: Filmanalyse. Köln 1978

Kühl, Stefan u. a. (Hg.): Handbuch Methoden der Organisationsforschung. Wiesbaden 2009

Luca, Renate: Medien und weibliche Identitätsbildung. Frankfurt am Main 1998 Mikos Lothar/ Wegener, Claudia (Hg.): Qualitative Medienforschung. Konstanz 2005

Mikos, Lothar: Film-, Fernseh- und Fotoanalyse. In: Mikos Lothar/Wegener, Claudia (Hg.): Qualitative Medienforschung. Konstanz 2005

Niesyto, Horst (Hg.): Selbstausdruck mit Medien. München 2001

Peez, Georg: Überblick und Ausblick. Forschungsmethoden zur Kinderzeichnung und zum jugend- kulturellen Ausdruck in der Kunstpädagogik. In: Kirchner, Constanze/Kirschenmann, Johannes/

Miller, Monika (Hg.): Kinderzeichnung und jugendkultureller Ausdruck. Forschungsstand – Forschungsperspektiven. München 2010, 521–546

Reuter, Oliver M.: Mobile Bilder. München 2009

Reuter, Oliver M.: Videografie in der ästhetischen Bildungsforschung. München 2012

Richard, Birgit u. a.: Flickernde Jugend- Rauschende Bilder. Frankfurt am Main/New York 2010 Sander, Ekkehard/Lange, Andreas: Der medienbiographische Ansatz. In: Mikos Lothar/ Wegener, Claudia (Hg.): Qualitative Medienforschung. Konstanz 2005

Schnettler, Bernt/Knoblauch, Hubert: Videoanalyse. In: Kühl, Stefan u. a. (Hg.): Handbuch Methoden der Organisationsforschung. Wiesbaden 2009

Schwinger, Ludwig: Video oder Film oder Videofilm. In: Ulrich, Wolfram/Buck, Peter (Hg.): Video in Forschung und Lehre. Weinheim 1993

Theunert, Helga/ Schorb, Bernd: Videoproduktion mit Jugendlichen als qualitative Forschungsmethode. In: Baacke, Dieter/ Kübler, Hans-Dieter (Hg.): Qualitative Medienforschung. Tübingen 1989,

Ulrich, Wolfram/Buck, Peter (Hg.): Video in Forschung und Lehre. Weinheim 1993 Witzke, Margit: Identität, Selbstausdruck und Jugendkultur. München 2004

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Erstveröffentlichung in: Schulz, Frank/ Seumel, Ines (Hg.): U20 Kindheit Jugend Bildsprache. München 2013